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Leseprobe Die Regenbogenbrücke - Lukas Freundschaft

Karin Jörger-Egger

Leseprobe aus:
Die Regenbogenbrücke

 

Lukas’ Freundschaft

 

Aus dem Wasserhahn klatschte in regelmässigen Abständen ein grosser Tropfen auf sein Gesicht. Das Wasser war eiskalt geworden, er musste wohl in der Badewanne eingeschlafen sein.
Halb benommen tastete er nach dem Wasserhahn, um ihn zuzuschrauben. Statt über glattes Email glitt seine Hand über rauen, nassen Fels.
Lukas versuchte, seine schweren Lider zu öffnen. Völlige Dunkelheit umgab ihn. Sein Kopf schmerzte höllisch und im Mund schmeckte er Blut.
Der Traum von der Badewanne zerplatzte. Die Wirklichkeit holte ihn ein.
Nachdem er Pia verlassen hatte, war er den Wachen direkt in die Arme gelaufen. Sie hatten sich nicht von seiner Ausrede überzeugen lassen, er hätte lediglich die Toilette gesucht.
Als sie ihn packten, hatte Lukas um sich geschlagen. Er erinnerte sich, einem Wächter die Nase gebrochen, einem andern einen Tritt in die Magengegend verpasst zu haben, bevor es schwarz um ihn herum geworden war.
Wieder zerplatzte ein Tropfen auf seinem Gesicht. Mühsam setzte er sich auf. Jeder Knochen in seinem Körper tat weh.
Er tastete um sich. Durch die dünne Strohschicht, auf der er sass, spürte er den kalten Felsboden. Hinter und neben sich tastete seine Hand über raue Wände. Vorsichtig zog er sich daran hoch. Etwas zittrig stand er auf dem Strohlager und versuchte, einen Fuss vor den anderen zu setzen. Mit den Händen stützte er sich an der Wand ab.
Nach ein paar winzigen Schritten trat er in eine Wasserlache. Er zog sich weiter. Die nächste Ecke seines Gefängnisses war kaum zwei Meter entfernt. Unter Schmerzen tastete er sich weiter, bis seine Hände auf Holz stiessen. Das musste eine Türe sein. Fieberhaft suchte er nach der Türklinke. Er fand zwar eine Metallplatte, doch befand sich kein Türgriff daran. Offensichtlich konnte die Türe nur von aussen geöffnet werden.
Er seufzte und knickte in die Knie. Sofort drang das eiskalte Wasser durch seine Hose und zwang ihn, wieder aufzustehen.
Langsam und schwerfällig tastete er sich über zwei weitere Ecken. An der vierten Wand wurde es heller. Schemenhaft sah er die spitzen Steine seiner Verlieswand. Hoch über ihm drang spärliches Licht durch eine winzige Öffnung zu ihm herunter. Verzweifelt versuchte er, danach zu greifen und wusste doch, wie sinnlos es war.
Erschöpft und resigniert beendete er seinen Rundgang. Auf dem Stroh brach er zusammen. Er legte sich auf die Seite, zog beide Beine an die Brust, schlang die Arme um sie herum und legte den Kopf zwischen die Knie. Der Schmerz pochte durch seinen Körper.
Lukas schloss die Augen und hoffte, dass sich dieser Horror verzogen hätte, wenn er sie wieder aufschlug.
Er wartete. Nichts geschah.
Er wartete weiter. Noch immer fühlte er die kalten, nassen Wände um sich.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass jedes Mal, wenn sein Vater seine Mutter oder seinen kleinen Bruder verprügelt hatte, er auf seinem Bett, mit der Decke über dem Kopf, in genau dieser verkrümmten Stellung abgewartet hatte, bis es wieder still geworden war. Nie hatte er den Mut aufgebracht, sich schützend vor Ramon zu stellen. Er war sogar heimlich froh gewesen, wenn es seinen Bruder und nicht ihn selber getroffen hatte. Doch er hatte sich dafür die ganze Zeit schuldig gefühlt.
Er war ein verdammter Feigling! Es geschah ihm ganz recht, dass sie ihn hier eingesperrt hatten, denn er hätte die Gemeinschaft bei ihrer Rettungsaktion sowieso nur behindert.
Sein Herz wurde noch schwerer.
Dann dachte er an Pia und was sie wohl gerade tat. Machte sie sich Sorgen um ihn oder war sie froh, ihn los zu sein, damit sie frei für Philatus war? Nein! Das tat zu weh! Daran wollte er nicht denken. Er drehte sich auf die andere Seite.
Unter ihm piepste es, er spürte etwas Pelziges an seinem Arm. Zu Tode erschrocken sprang er auf. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, so dass er die Stelle, an der er eben noch gelegen hatte, schemenhaft sehen konnte. Es rührte sich nichts.
Stocksteif stand er da und wagte sich nicht zu bewegen. Seine Beine begannen sich zu verspannen und noch mehr zu schmerzen. In seinem Kopf drehte sich alles. Er schwankte.
Schon wollte er aufs Stroh zurücksinken, als er an seinem Fuss eine feine Berührung spürte. Eine kleine Maus kletterte darauf, machte Männchen und schnupperte an seinem Hosenbein.
Entsetzt kickte Lukas das Tierchen in hohem Bogen weg. Es piepste jämmerlich, als es auf dem harten Boden aufschlug. Dann war es still.
Lukas keuchte. Eine Maus! Mäuse hatten ihm schon seit er denken konnte eine Todesangst eingejagt. Er horchte angestrengt. Alles blieb still.
Inständig hoffte er, dem Tier den Garaus gemacht zu haben.
Plötzlich öffnete sich in der Türe eine Luke. Licht drang in seinen Kerker. Etwas Unförmiges wurde durch die Luke geworfen und klatschte ins Wasser am Boden. Geräuschvoll schloss sich die Luke wieder.
Lukas hechtete zur Tür und hämmerte mit den Fäusten dagegen. „Hey! Lass mich hinaus! Hey!“
Die Türe gab nicht nach, doch Lukas hämmerte weiter, bis ihm warmes Blut aus den aufgeschundenen Händen über die Arme lief.
Er keuchte und stand eine Weile mit hängenden Armen da. Endlich tastete er nach dem Gegenstand, der zu ihm hereingeworfen worden war. Bald hielt er einen Laib Brot in der Hand, der auf der Seite, mit der er im Wasser gelegen hatte, aufgequollen und matschig geworden war.
„Iiihh…“, machte Lukas angeekelt. Trotzdem brach er einen Bissen davon ab und schob ihn sich in den Mund. Den Rest legte er ins trockene Stroh und setzte sich daneben.
Auf einmal war die Maus wieder da. Sie schnupperte mit ihrer Nase, deren feine Schnauzhärchen im fahlen Licht zitterten.
Lukas drückte sich an die kalte Wand. „Hau ab, verzieh dich!“
Die Maus schnupperte weiter in Lukas’ Richtung. Dem schien es, als würde sie ihm direkt in die Augen starren.
„Wage es ja nicht, näher zu kommen!“, drohte er, doch seine Stimme zitterte, was seine Drohung eher zu einem Flehen werden liess.
Die Maus setzte sich und wartete.
Lukas sass, an die Wand gedrückt, bewegungslos da und wartete ebenfalls.
Sie fixierten einander gegenseitig, liessen sich nicht aus den Augen.

Stundenlang verharrten die beiden schon in der gleichen Stellung. Wie zwei Kriegsführer, die auf einen unachtsamen Augenblick des Gegners warten. Lukas’ verspannter Körper war nur noch eine dumpf pochende, schmerzende Masse.
Der Junge war völlig erschöpft. Langsam wurden ihm die Lider schwer. Er wehrte sich dagegen und riss die Augen sofort wieder auf, sobald sie ihm zufielen. Er zwickte sich in die Arme, schlug sich gegen die Wangen und hielt sich die Augen mit den Fingern offen.
Schlussendlich aber nützte nichts von all dem. Ohne es zu merken nickte er ein.

Erschrocken fuhr er hoch. Die Maus sass nicht mehr an ihrem Platz. Wie lange hatte er geschlafen? Sein Blick hastete durch den dunklen Kerker. Wo war die verfluchte Maus? Wie hatte er nur einschlafen können! Wenn das Biest ihn nun aus dem Hinterhalt angriff? Vielleicht war es schon ganz in seiner Nähe!
Er durchwühlte das Stroh. Abrupt hielt er inne und zog beide Hände zurück, als hätte er sich verbrannt.
Das Mäuschen hatte sich neben dem Brot niedergelassen. Es hielt einen Brocken davon in seinen Pfötchen und nagte daran.
Lukas riss das Brot an sich. „Das ist meins!“, schrie er die Maus an, die ihn aus grossen Augen ansah.
„Hau ab!“ So schnell er konnte, rutschte er auf dem Po rückwärts der Wand entlang, das Brot fest an die Brust gepresst.
Die Maus liess sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Genüsslich knabberte sie an ihrem Brotbrocken und leckte sich das Schnäuzchen.
Lukas beobachtete jede ihrer Bewegungen. Er sass zwar auf der nassen Seite des Strohlagers und die Kälte kroch ihm in die Glieder, doch wichtiger als ein trockener Platz war ihm ein möglichst grosser Abstand von diesem Ungeheuer.
Dieses hatte aufgegessen und wollte offenbar noch mehr haben. Bettelnd legte es den Kopf auf die Seite.
„Nein!“, jaulte Lukas, als würde ihm ein Fuss abgenagt. „Das ist mein Brot!“ Und er stopfte sich davon in den Mund so viel er nur konnte. „Hiehch gu, ech ichg haing!“, babbelte er kauend.
Das Mäuschen schaute ihn verständnislos an.
Lukas kaute mit vollen Backen. „Siehst du, es ist meins!“, wiederholte er, nachdem er den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte.
Als hätte es verstanden, schüttelte das Mäuschen den Kopf.
„Doch, ehrlich!“, widersprach Lukas und fragte sich insgeheim, was er da eigentlich tat. Er redete mit einer Maus und wollte diese sogar überzeugen! War er denn verrückt geworden?!
Die Maus setzte sich Richtung Lukas, beziehungsweise Richtung Brot, in Bewegung.
„Stopp! Bleib wo du bist!“, keuchte der Junge und begann, das Stroh um sich herum auf die Maus zu schleudern.
Unbeeindruckt von dem Strohregen tapste das Mäuschen näher. In panischer Angst bohrte Lukas seine Finger in die matschige Brotseite und beschoss das Tier mit feuchtem Brot.
Diesem gefiel dieses besondere Bombardement, denn es schnappte sich die Leckereien und liess sie sich schmecken.
Lukas, eben noch verrückt vor Angst, hielt plötzlich mitten im Angriff inne.
Was tat er da, fragte er sich verwundert, als sei er plötzlich aus einem Traum erwacht. Er bewarf eine Maus mit Brotbrocken? Wozu?
Eine ängstliche Stimme in ihm meldete sich: „Es ist eine Maus! Du fürchtest dich vor Mäusen! Schon vergessen?“
Er sah die Maus an, die ganz vertieft war in ihre Mahlzeit.
„Fürchtest du dich wirklich vor Mäusen?“, fragte eine andere Stimme ruhig in ihm. Noch einmal glitt sein Blick zu der zufrieden fressenden Maus, und eine Veränderung ging in ihm vor.
Die Angst bröckelte von ihm ab, er wusste nicht warum. Doch auf einmal sah er kein Ungeheuer mehr vor sich, sondern einfach eine Maus, die Hunger hatte und diesen Hunger stillen wollte. Wer weiss, wie lange sie schon nichts anderes mehr zu fressen gefunden hatte als Moos und Flechten von den Wänden.

 

 

Copyright by Karin Jörger-Egger, 2007

 

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